András Surányi: Sehr geehrte Konferenzteilnehmer, Exelenzen, Gäste und Komilitonen!

Sehr geehrte Konferenzteilnehmer, Exelenzen, Gäste und Komilitonen!
An die morgigen Wahlen denkend änderte ich ein wenig die Richtung meiner Betrachtungen. Immerhin ist Kampagne-Stille und der erste Titel meines Beitrages: „Wahlverwandschaften” war vielleicht zu provokativ. „Jiddische Mameloschn”/Mutter- oder Stiefmuttersprache/ war der zweite Arbeitstitel. Heute würd ich lieber: Sprach-, Wort- und Seelenwanderungen sagen.
Ich werde also über einige jener Erscheiungen sprechen, die ich auf dem Wege des Erkennens traf und welche mich trafen, und mich zum stetigem vergleich, der mir nahen Sprachen und die dazuhörigen Volksseelen führte. Meine Methode ist eigentlich keine, oder rein empierischer Art. Ich bin ein verplichteter Sonntagslingvist ein Möchtegern-Phylolog.
Um gleich am Anfang zu beginnen..: als ich auf deutsch nur den Ausdruck „nicht vor dem Kind” kannte hat es sich so ergeben, dass unsere Familie nach Wien übersiedelte und ich mit elf Jahren in die zweite Klasse des Bundesgymnasiums Stubenbastei kam. Mein Status war a.o.o.B., e+r befr. Ausserordentlicher Schüler, ohne Bekenntnis, von Englisch und Religion befreit. Neben dem deutschen musste ich jedoch auch die Fremdsprachen Latein und Russisch lernen. Nach dem ersten Schreck viel mir auf, dass in all diesen Sprachen als Erleichterung dem ungarischen ähnliche Worte und Ausdrücke zu finden sind. Mein Konzept war diese Entdeckung geheim zu halten, die Gleichheiten systematisch zu sammeln und bei passender Gelegenheit mit dieser schockiereden Entdeckung „der gemeinsamen Abstammung aller Sprachen vom ungarischen” rauszurücken. Meine Heftseiten waren viergeteilt, am Anfang das ungarische Urwort, zum Beispiel „trampli”, daneben in der zweiten Reihe, was daraus die Deutschen beziehungsweise die Österreicher machten. In diesem Falle das Trampeltier. Da lachte ich nur altklug in mich hinein: klare Sache… die Ungarn drangen aus Asien ein, brachten einige Trampeltiere mit und die überraschten Deutsche, die so ein Vieh im Leben noch nicht gesehen haben, nahmen das ausdrucksvolle Wort der Ungarn für alles ungepflegte, unkluge, vielleich auch zottige und unwohlriechende in Besitz, und kreirten das nicht sehr fantasievolle Wort: das Trampeltier. Im meinem Vokabular folgten dann die weiteren urungarischen Worte nudli, kupleráj, nahtkasztli, slaffrokk, tróger und hózentróger… Mit medve-dem Bären, veréb-dem Spatzen und kacsa-der Ente konnte ich einiges zum russischem eintragen… Auch klar: die Ungarn trafen die Russen in Asien und haben paar Bären mitgehabt. Die Russen, die am Anfang noch ziemliche Angst vom grossem Honigesser hatten, nannten ihn mit dem sehr treffenden ungarischen Wort „medwedj”. Die Spatzen und Enten flogen immer gerne mit den Ungarn und es war nur natürlich, dass sie von den tierliebenden Russen auch sehr herzlich übernommen wurden, als „vrobi” und „kácská”. Die Ungarn auslassend, übernahmen die Russen noch buttyerbrót von den deutschen, was eindeutig auf Mangelwirtschaft und deutscher Hilfe schliessen lässt. Auch stál und száldát entdeckte ich vom deutschen ins russische gehoben, wobei beide Sprachen sich mit dem schönem ungarischen kapitány bereicherten. Stolz und etwas überheblich grinsend notierte ich die Entlehnung des magyarischen Wortes für den Rekrutentanz „verbunkos”, als ich es in der Aufschrift „Werbung” im österreichischen Fernsehen wiedersah. Logisch volgte darauf der „opsit” der entlassenen Husaren. Klarerweise das Abschiedsgeld. Beim oft verklingendem Ausdruck meiner Mutter für die Zustände in meinem Zimmer: „mi ez a vircsaft” wurde ich das erste mal unsicher. Die ungarischen Abenteurerer und Landnehmer müssen es recht oft gesagt haben, dass es im Deutschen so tiefe Wurzel schlug. Oder war hier vielleicht eine Wechselwirkung…? Landwirtschaft, wirtschaftlich oder Wirtschaftsministerium passten nicht in das bislang angewandte Schema. In latein fand ich in Professor Gerhold einen hartnäckigen Widersacher. Er bemächtigte sich einmal meines Heftes und behauptete die Reihenfolge vertauschen zu müssen. Laut seiner sollte Latein rot geschrieben in der ersten Reihe stehen, auch in der Genitiv-Form und dann Deutsch, Russisch und Ungarisch. Gegen ihn sprachen die urungarischen Ausdrücke in latein, wie vicaverza, ecetera, persze, jusztis, alle Monats- und Käisernamen und vor allem omnibusz. Na ja… der kalte Krieg, und die westliche Überheblichkeit – dachte ich.
Mit ähnlichem selbstherrlichen Lächeln auf den Lippen schrieb ich die Wörter meló, haver, mázli, bóvli und kóser in das Hefterl, und die Entlehnung natürlich in die deutsche Reihe: Meloche, Haverer, Masel, Bovel und koscher. Konstanter Testperson war mein Mitschüler und Bankpartner Alexander Silberschatz. Mit einer gewissen Hochmut las ich den neuerlichen Beweis des allgegenwärtigen und wortmächtigen Ungarischen. Er zuckte nur mit dem Schultern, und behauptete, die Wörter wären doch garnicht ungarisch sondern jiddisch. Alle Schularbeiten in Mathe und Physik schrieb ich vom Alex ab, in Russisch sagte er mir auch immer an, da er aus Polen war. Also war er eine zu beachtende, glaubwürdige Person. Nun erzählte ich zu Hause diese unglaubliche Geschichte über eine neue Sprache. So neu ist sie nicht – sagte mein Vater – und mein Grossvater aus Debrecen und mein Urgroßvater aus Hermannstadt hätten sie auch fliessend gesprochen. Wie auch der andere Grossvater aus Szabadka. Langsam wurde mir auch klar, dass mann mit ungarischer Muttersprache nicht unbedingt nur hunnische, kumanische seklerische, onogurische oder jazigische Vorfahren hat. Das rückte meine Forschungen in ein kritisches Licht.
Es verging ein viertel Jahrhundert und ich stand im 42 grad Celsius recht ratlos im Avokado des gallileischen Kibutzes Mezer, inmitten arabischer Mitarbeiter. Sie fuchtelten auf meine Schöllersandalen zeigend, und zischten dazu. Nahasch, die Schlange war das erste hebräische Wort das ich lernte, und das von Arabern. Es waren wirklich viele Schlangen im Laub unter den Bäumen, und den nächsten Tag hab ich die Sandalen schon auf hohe Schuhe ausgetauscht. Gleich kam es zum
Vorschein dass „sandal” in ivrit die Seezunge bedeutet und das Schuhwerk ist anscheinend nach ihrer Form benannt, der Schumacher heisst dem nach in edler Einfachheit „sandlar”. Am selben Tag fragte mich die Küchendienstlerin, als ich etwas mistreuisch unter den Nachspeisen rumstöberte: „ma a baja im a strúdelim? Ich hätte gewettet, dass sie Jemenitin ist, also war ich etwas überrascht in Dorfungarisch gefragt zu werden, ob ich mit der Strudel irgendwelche Probleme hätte. Sie war wirklich Jemenitin und wolte tatsächlich wissen ob ich was an der Strudel auszusetzen habe. Nur konnte sie kein Wort ungarisch. Eine andere Geschichte wiederum war dass ma? im ungarischen mi?, baaja im ungarischen baja heisst und Strudel ist eben Strudel weltweit. Nun leuchtete es mir blitzartig ein, dass ich am besten weiterkomme, wenn ich wieder mit Hilfe der Aehnlichkeiten und der Lehnwörter mein Ivrit-Vokabular aufstocke. Und so habe ich das alte Hefterl aus Wien abgestaubt und es war zu profezeihen, dass anhand der sowohl im Jiddischen, als auch im deutschen und ungarischen anwesenden Ausdrücke ich in maximal zwei Wochen fast perfekt hebräisch sprechen werde. Oder müsste.
Wie das? Die Existenz der jüdischen Gemeinde in Köln unter römischer vorchristlicher Herrschaft wird ja schon im Jahre 321 in einer Urkunde des Kaisers Konstantin bekundet. In der nachrömischen, fränkischer Aera, entwicketlte sich aus dem Mittelhochdeutschen die Muttersprache der aschkenasischen Juden, das Jiddische, die Mameloschn. Aschkenas ist übrigens das Wort für Deutschland. Warum? Weil Aschkenas der Urenkel vom Noah war – Noah mit der Arche ist gemeint – und der Name vom Aschkenasens Vater, Gomer klang wie Germania. Der Name Aschkenas kam ungefähr um 900 auf, und die Juden sprachen zu dieser Zeit – ausser der hebräischen lithurgischen Sprache – das Mittelhochdeutsch ihrer Umgebung im Reinland. Dieses Jiddisch nahm neben dem Mittelhochdeutsch hebräische, aramäische und romanische Elemente in sich auf. Durch die Reihe der Kreuzzüge und der andauernden Pogrome als Begleiterscheinung emigrierten die Juden ostwärtz. Hier ergänzte sich die Mameloschn mit baltischen, slawischen und rumänischen Sprachelementen. Im Austausch bereiecherten sich die Gastgebersprachen am Jiddischen und Hebräischen. Gründend auf dieser Tatsache und meinem geheimen Wiener Kodex wählte ich also die Richtung des kleinsten Widerstandes, dem Hebräischen auf Umwegen, durch das Deutsche und Ungarische nahezukommen. Dabei fand ich weitere interessante und nicht weniger geheimnisvolle Sachen und kam den menschlichen Tiefen immer näher.
Ich teilte die brauchbaren Lehnwörter in zwei lingvistische Kategorien, in die Gruppe der inhaltvertiefenden Erklärwörter einerseits, und anderseits der sinnesverschobenen Stimmungswörter. Eine eigene Kategorie bildeten die Wörter und Wendungen, die direkt mit den Juden zu tun haben. Zu ihrer Entlarwung als jiddisches Lehngut gehört also keinerlei Sprachen-Detektivveene. Es gibt auch viele hebräische Ausdrücke die unabhängig vom Jiddischen, direkt aus der Bibel, durch die Religion in das deutsche kamen. Die gleichen Ausdrücke im jiddischen suchend finden wir zumeisst nicht das hebräische sondern gerade das mittelhochdeutsche Idiom…
Die Meloche oder als Zeitwort melochen ist jedem bekannt, hier träfen wir ein klassisches inhaltvertiefendes, die Botschaft bunt illustrierendes hebräisches Wort, vermittelt durch das Jiddische. Wenn wir in Berlin oder Wien statt arbeiten oder Arbeit die Meloche oder melochen hören, können wir sicher sein, dass sich jemand schwer bemitleiden lässt und auszudrücken versucht, wie er oder sie durch diese schwere Arbeit ausgemergelt wird. Der Arbeiter steht für fleissig, selbsbewusst und organisiert, die Arbeit ist was heiliges, die Meloche jedoch ist ein sich abrackern für Hundelohn oder gar für nix, ähnliches, wie ein Subotnik, wenn die ungarischen Peregrienerkollegen sich noch an die meisst sinnlosen Wochenendarbeiten für den Weltfrieden erinnern. Im hebräischen oder in den ausgestorbenen westsemitischen Sprachen wäre die noblere Tätigkeit gerade die Melacha, die im Alten Testament auch für Gottesdienst steht, und dem Malach/Engel und Melech/König sehr nahe zu stehen scheint. Der weniger glorifizierte Ausdruck, die Arbeit wäre dann die Awoda, deren Wurzel a-w-d zugleich den Sklawen und den Leibeigenen bedeutet. Im Chaldäischem Wörterbuch steht etwas frappierend bei a-w-d Kummer, Mühe haben, Druck, Schmerz empfinden… Nun grillte ich darüber, worauf die ungarische Mameloschn den Begriff für die Arbeit zurückführt. Mit „meló und melózni” fand ich die Meloche aus dem jiddischen natürlich sofort, aber die Tätigkeit der „gepeinigten und unterdrückten Arbeitermassen” kann doch kein meloche oder meló sein… dass ist die munka im Ungarischen. Sonderbarer Weise verwenden die Rumänen auch die „munka” für die Arbeit und ich musste mich vom Klischee des „faulen Volkes, das sogar kein eigenes Wort für arbeiten hat” freimachen… Das war nicht schwer, da der urslawische Ursprung, die „mí/ü/ka” gleich zum Vorschein kam. Ich werde Sie kaum überraschen, mi/ü/ka bedeutet ebenfalls Mühe, Pein, Schmerz…Nna gut sagte ich, es war ja auch komisch dass munka kein Zeitwort im ungarischen hat, wie Arbeit-arbeiten, labor-laborare, awoda-laawod, rábota-rábotáty…dafür hätten wir ja das Verb „dolgozni”. Im Nu entlarvte ich mit Hilfe des ethnografischen Wörterbuches das ungarische „dolog”, als das slawische „dálog”… tartozás, adóság, kötelesség… auf deutsch: schulden abtragen, ableisten, Pflichten nachgehen…
Ich lernte aber immer, Arbeit ist was schönes, formt den Menschen, gibt ihm Haltung und ist die Grunglage der Gesellschaft und des Menschwerdens. Überhaupt verdanken wir unser riesieges Gehirn und die beweglichen Finger der Arbeit. Aber das Roboten der Slawen entpupte sich auch als eine eher peinliche Geschichte. Nur ein Sprung ins englische und lateinische und wir entdecken im labor, laborare auch den Ausdruck für Qualen und Pein… Man laboriert ja auch an einer Krankheit.
Verehrte Konferenzteilnehmer und Komilitonen, ich werde das Gefühl nicht los, dass wir Menschen äusserst arbeitsscheu sind, und nur unter Zwang zu arbeiten bereit sind.
Für die sinnesverschobenen Stimmungswörter wäre vielleicht das schöne ungarische Idiom für unschlüssig sein und umständliches Handeln: teketóriázni ein Paradebeispiel. Beim jüdischen Tun kann man weltlich vorgehen, also möglichst einfach, zum Beispiel beim Essen. Man kann jedoch auch streng nach Zeremonien der Tora, also laut religiösen Vorschriften, nämlich nach „tekes thora” handeln. „Teketória nélkül” bedeutet heute also, einfach, entschlossen, ohne Umständlichkeiten. Interresant ist der Sinneswandel von „srác”, in deutsch Junge oder Kerl. Professor Gerhold in Wien würde vielleicht Gschrappen sagen. Sherec oder shracim bedeutet eigentlich Gewürm und Insekten und wurde anfänglich verachtenderweise auf solchartige Kerle gebraucht. Die häufige Verwendung und der Zusammenhang mit dem Ausdruck, „im Vergleich mit dem Herrn sind wir nur arme Würmer…” hat die Bedeutung entgiftet und freundlich gestimmt.
Das österreichische Wort für Kneipe ist das Beisl. Beis ist schlicht und einfach die zweite Buchstabe des ivritschen Alfabets, es heisst ja auch Alefbeis. Beit bedeutet Haus in Hebräisch, früher war es natürlich Zelt. Heute das Kneiphäusl für die bekannte Knepkur. Balabos ist der Hausherr. Der Boss ist auch klar zu erkennen, nur schreibt das Jidische eine Genitivkonstruktion: „Herr des Hauses”. So ist der Boss nicht aus bal, der Herr, sondern – eigentlich versehentlich – aus bos/beis, – das Haus – entstanden. Schmiere stehen hörte ich in Berlin das erste mal. Das zweite mal im Kibuc, als ich in die shmira in die Wache eingeteilt wurde. Schön find ich auch das ungarische Stimmungswort „hepciáskodni”, an allen was auszusetzen haben, ähnlich der Erbsenprinzessin. Gemeint ist im Hintergrund die Königin Hephzibah, die sicher nicht zufällig einen sprechenden Namen hat. Hefzit, die Eigenwillige. Beim ersten hören in Berlin dachte ich mit wohlriechenden Schotten zu tun zu haben. Shote in jiddisch und Ivrit bedeutet allerdings Narr, Idiot. Dufte bedeutet gut-schön. Dufte Schote wäre in meiner Spiegelübersetzung : ganz schön blőd. Haben Sie schon geschäkert? Wenn Sie wüssten, dass es lügen bedeutet… „Host g’nug Moos in d’n Taschn, host immer was zum naschn” oder „ohne Moos, nix los”. Nun, ma’os ist einer der Begriffe für Geld in Jiddisch. Kies auch, aber kis ist eigentlich die tasche wo der Moos reingehört. Gut betucht ist ein Madel, wenn die Elter genug Moos im Kies haben… würden wir sagen. Es wäre aber falsch zu glauben, dass die Rede von Bettzeug und Aussteuer der Braut ist. Betucht ist eigentlich batuach und steht für sicher, versichert oder mit stabilem finanziellem Hintergrund. Masl, Masel oder im ungarischen mázli haben ist eine erfreuliche Geschichte. Das jiddisch-hebräische mazal ist eigentlich bloss das Schicksal, ohne Vorzeichen. Mazal tov ist die glückliche Variante, mazal ra oder shlimazal wäre das Unglück. Im shlimazal erkennen wir auch die Schlamassel, die Ungarn jammern über die slamasztika. Es hört sich unwahrscheinlich an, dass die Ziffer was mit dem jiddischen oder hebräischen zu tun hat. Fakt ist aber, dass das arabische shifr und das hebräische sfira, mit der Bedeutung die Leere, der Ursprung unseres Nulls und Zeros sind, und wer chifriert /schifriert/, der ersetzt die Buchstaben mit Ziffern. Praktisch, die Geheimschrift. Die, – das Nichts verbalisierende – Null wurde dann als ein Kreis simbolisiert. Wenn der ungarische Töpfer oder Kunstschmied viele kleine Kreise nebeneinander setzte, wusste er kaum, dass die Zierung, cifrázás was mit den Sfeeren und dem hebräischen sfira was gemeinsam hätte. Dass doof, Tachles, Pleite, dafka, ganef, Tinef, abrakadabra, Schmus, schummeln, kabbeln, Rabat, meschugge, Stuss, zocken, sich in deutsch festsetzen konnte, brauchte man gleich oder ähnlichklingende Begriffe, die sich als Träger für das jiddische Wort eigneten. Reibach hört sich ausgesprochen deutsch an, ist aber das jiddische re’vach. Hier blieb die Bedeutung gleich, nämlich Gewinn. Das Jubileum kann natürlich auch durch das Latein in das deutsche gekommen sein, die Quelle ist aber jovel, das jüdische Jubeljahr, dass 7x7+1-ste Jahr, in dem die Schulden annuliert werden. Das Prachtstück von deutscher „Gleichschaltung” ist „es zieht wie hechtsuppe”, und auf ungarisch würde es selbstverständlich nicht funktionieren. Hechi ist ein Steigerungswort, das Ungarische sägte „leges-leges..” und supha ist der Windsturm oder Orkan in hebräisch. Es zieht hier, wie hechi supha…, also wie ein mörderlicher Sandsturm. Das wäre also die Hechtsuppe.
Im Ungarischen fassten andere, der Sprache besser anschmiegbare jiddische Idiome Fuss. Balek, sumákolni, böhöm, kabala, brahi, cefetül, herót, balhé, elpaterolni, fusi, gajdolni, rinyálni, majrézni, samesz, siserehad, hadova, hakni, elhappolni, balfácán, jampec, topis, lébecol, mismás, mószerólni, rahedli, míszmahholni, séró, stika, szajré, tarhál, tré sind nur ein Strauss von meinem budapester jiddisch-pester Vokabular. Das beliebte Stimmungswort sóher kennt jeder, nicht nur der Pester. Der Gebrauch von sóher als knausrig wäre falsch. Dafür nehmen wir das von Jiddisch übermittelte „smucig”. Wer sóher ist, hat nämlich echt nichts, nur seinen alten schwarzen Kaftan: shachor, schwarz war die Kleidung der „Schnorrer” oder Bettler. Pacák verwendet der Pester für Kerl, die heutige Jugend pregt lieber den Slengausdruck „das Gesicht, arc. Pacák war aber von vorne herein „arc”: das Gesicht, pacef in jiddisch, parcuf in Hebräisch. Neben oder statt pacák steht auch hapsi für einen unbestimmten Mann, den wir am besten Kerl nennen. Hofshi ist der freie, unabhängige Mann. Für Trinkgeld ist der kuhle Ausdruck jatt. Jad ist die hebräische Hand, und jatt a jattban, jad bajad ist natürlich eine gemachte Sache, die mit einem Handschlag besiegelt wurde. Die Pester sind stolz auf das im Budapester Zoo gebohrene kleine Nilpferd. Niemand würde behaupten, es wäre ein behemót. Unser gefeiertes Nilpferdl ist aber definitiv ein behemot, da das Wort eben Nilpferd bedeutet. Macerálni auf deutsch zu übersetzen ist nicht leicht, am besten nehmen wir das lateinische Fremdwort sekieren. Sezieren kommt dem ursprünglichen Sinn von macerálni schon näher. Es geht nämlich um die entfernung der Sehnen aus dem Rindfleisch, um das Fleisch kasher, also gesund zu machen. Auf die Sehnen, die die Fleischblőcke begrenzen zielt das Wort mecer, das in Ivrit Grenze bedeutet. Damit sind wir wieder in meinem ehemaligen Kibutz, Mecer angelangt. Namenswahl des Kibutzes ergab sich aus der Tatsache der nahen jordanischen Grenze.
Und was ist die Moral vom all hier Gesagten? Dass Jiddisch, als die dem deutschen nächstverwandte Sprache mir entscheidend half das erste Halbjahr im Kibutz sprachlich zu meistern, auch wenn die Sabre, – die Einheimischen – mich manchmal sonderbar ehrfurchtsvoll betrachteten. Ich verwendete für sie auch schon etwas staubig, theatralisch klingende Ausdrücke. Klar wurde ebenfalls, dass Jiddisch nicht nur ein – auf das Mittelhochdeutsch basierender Sprachensalat ist, die im Laufe von 1000 Jahren von den migrierenden Juden aufgenommen wurde, sondern selbst auch als Vermittler und Sprachmedium ist, durch das die hebräische Elemente ins Umgangsdeutsch und das Wienerische, ins Ungarische und sogar auf Umwegen in das heute gesprochene Ivrit Eingang fanden. Auch können alle erleichtert aufatmen, die um die Zukunft der deutschen Sprache bangen. Sie stirbt keineswegs, sie lebt sogar in anderen Sprachen weiter, wie auch in ihr dutzende Sprachen leben.
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